Tragfähigkeiten und unterirdische Bauwerke im SLB-Streifens

Die EASA-Richtlinie CS-ADR-DSN enthält u. a. Anforderungen an die Auslegung von Sicherheitsstreifen um Start- und Landebahnen (SLB). Eines der übergeordneten Sicherheitsziele des SLB-Streifens ist die Minimierung von Schäden an Luftfahrzeugen (insb. Bugfahrwerk), welche die SLB im Rahmen einer Havarie seitlich verlassen (sog. Veer Off). Im Wesentlichen sind diesbezüglich folgende Vorgaben im eingeebneten Teil des SLB-Streifens (sog. Graded Portion)umzusetzen:

  • Ausreichende Tragfähigkeit durch Herstellung eines sog. CBR-Wertes (California Bearing Ratio, Prüfverfahren zur Ermittlung der Bodentragfähigkeit) von 15 bis 20 ab einer Bodentiefe von 15 cm und
  • Beseitigung vertikaler Fundamentflächen von Objekten (Fundamentneigungen), die unterhalb der Geländeoberkante installiert sind (bspw. Energieversorgungs‑, Kontroll‑ und, Entwässerungsschächte sowie Fundamente, Sockel etc. von Befeuerungen, Zeichen und sonstigen technischen Anlagen).

Sofern bezüglich dieser Eigenschaften Richtlinienabweichungen vorliegen, lässt EASA den Nachweis eines gleichwertigen Sicherheitsniveaus (Equivalent Level of Safety, ELOS) und damit ggf. unbenommen sicheren und regelmäßigen Flugbetrieb anhand einer detaillierten Sicherheitsbewertung zu.

Die in diesem Kontext durch GfL durchgeführten Sicherheitsbewertungen umfassen im Wesentlichen folgende Prozessschritte in Anlehnung an die Safety Assessment Methodology (SAM) der EUROCONTROL:

Bestandsanalyse:

  • Erfassung allgemeiner flugbetrieblicher Informationen (bspw. Dimensionen relevanter Flugbetriebsflächen, Verkehrszusammensetzung etc.) u. a. zur Ermittlung von Referenzluftfahrzeugen
  • Analyse und Bewertung von CBR-Messwerten und Bodeneigenschaften (u. a. Bodenart und Trockendichte) in der Graded Portion als wesentliche Parameter zur Ermittlung von Rollwiderstandskräften im Rahmen der Risikoanalyse; die Aufnahme der Mess- und Bohrdaten kann hierbei durch GfL im Unterauftrag durch einen Baugrundgutachter erfolgen
  • Erfassung von Lage, Art und Abmessungen unterirdischer Bauwerke in der Graded Portion
  • Abschließende Zuordnung der CBR-Werte zu den UBW zur Ermittlung der Tragfähigkeiten in unmittelbarer Umgebung des jeweiligen UBW

Gefahrenanalyse:

  • Vorprüfung zur Risikoermittlung mit Bezug auf Gefährdungen für Personen an Bord des LFZ und für die Struktur des LFZ selbst bedingt durch ein seitliches Verlassen der SLB und anschließender Kollision mit UBW
  • Erfassung von empirischen Veer‑Off‑Vorfällen mit anschließender Hinderniskollision mittels Flugunfallanalysen
  • Untersuchung empirischer Flugunfalldatenbanken und hierin enthaltener Unfallberichte vornehmlich von staatlichen Flugunfallbehörden (bspw. BFU, NTSB, ATSB)
  • Klassierung (hinsichtlich Schweregrad von Sach- und Personenschäden) und statistische Auswertung der Daten
  • Abschließende Festlegung sog. Havarieszenarien in Abhängigkeit von Flugbetriebsphase, Geschwindigkeit und Masse havarierender LFZ etc., die der folgenden Risikoermittlung zugrunde gelegt werden

Risikoanalyse/-bewertung:

Risiko ist im Allgemeinen definiert als Verknüpfung von Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadensausmaßen. In vorliegender Sicherheitsbewertung erfolgt die quantitative Bestimmung dieser beiden Parameter in Bezug auf die entwickelten Havarieszenarien wie folgt:

Ermittlung von Eintrittswahrscheinlichkeiten:

  • Anwendung der beiden Teilmodelle Vorfallrate (Wahrscheinlichkeit für das Eintreten eines Veer-Off-Vorfalls pro Flugbewegung) und Unfallortsverteilung (Unfallgebiet bei Eintreten des Vorfalls als bedingte Wahrscheinlichkeitsdichte)
  • Für die Ermittlung der Unfallortsverteilung kommt ein durch GfL entwickeltes Modell zur Anwendung, das durch folgende Kernaspekte gekennzeichnet ist:
  • Ermittlung von exakten Rollpfaden (Punkt des Verlassens der SLB, Winkel beim Verlassen und Weglänge durch den SLB-Streifen) während Veer-Off-Vorfällen aus empirischen Flugunfallberichten
  • Modellierung von Verteilungsfunktionen für die o. g. drei Parameter zur Beschreibung der Rollpfade
  • Durchführung einer Monte-Carlo-Simulation zur Ermittlung der bedingten Wahrscheinlichkeitsdichten, die zufällig Werte für die o. g. drei Parameter innerhalb deren jeweiliger Verteilungsfunktion würfelt und so vielzählige Rollpfade/Trajektorien erzeugt
  • Abschließende Ermittlung der Anzahl an UBW-Kollisionen anhand dieser modellierten Rollpfade
  • Die Gesamteintrittswahrscheinlichkeit ergibt sich sodann als Produkt aus Vorfallrate und (integrierter) Wahrscheinlichkeitsdichte zur Unfallortsverteilung

Ermittlung von Schadensausmaßen:

  • Die Quantifizierung der LFZ-Sachschäden im Rahmen einer UBW-Kollision fokussiert auf die Bugfahrwerksstruktur und umfasst folgende zwei durch GfL entwickelte, flugmechanische Teilmodelle:
    • Modellierung der Reifen-Untergrund-Interaktion zur Ermittlung von Einsinktiefen und Rollwiderstandskräften unter Berücksichtigung spezifischer LFZ- und Bodeneigenschaften (insb. Tragfähigkeit in Form von CBR-Werten)
    • Dynamische Simulation der Kollisionskräfte zwischen LFZ-Reifen und UBW mittels Finite-Elemente-Methode (FEM) unter Berücksichtigung spezifischer Reifendimensionen und Hinderniseigenschaften
  • Anhand der beiden Teilmodelle werden Rollwiderstandskräfte verursacht durch den gering befestigten Boden des SLB-Streifens sowie Kollisionskräfte während des Auftreffens des LFZ-Reifens auf ein UBW mit/ohne Fundamentneigung ermittelt und schließlich in eine Gesamtwiderstandskraft überführt.
  • Zur abschließenden Bewertung der Bugfahrwerksbruchfestigkeit wird die je Havarieszenario und Referenzluftfahrzeug berechnete Gesamtwiderstandskraft einer sog. Referenzkraft gemäß EASA CS-25 (in Abhängigkeit von Massen und Abmessungen der untersuchten Referenzluftfahrzeuge) gegenübergestellt.
  • Personenschäden werden hingegen qualitativ auf Basis von Flugunfalldatenbankrecherchen (siehe Gefahrenanalyse) und unter Berücksichtigung allgemeiner flugmedizinischer Zusammenhänge im Rahmen erhöhter Verzögerungsbeschleunigungen

Im Rahmen der abschließenden Risikobewertung erfolgt die Einordnung der ermittelten Eintrittswahrscheinlichkeiten und Schadensausmaße in die Risikomatrix gemäß ICAO Doc 9981 PANS-ADR or ICAO Doc 9859 SMM, die folgende Zustände einnehmen kann:

  • Nicht akzeptabel (rot): Risiken in diesem Bereich gelten als nicht akzeptierbar, weitergehende Maßnahmen zur Senkung des Risikos sind zwingend notwendig.
  • Tolerabel (gelb): Risiken in diesem Bereich können toleriert werden, Maßnahmen zur Risikoreduktion im Sinne des ALARP-Prinzips sind allerdings angeraten.
  • Akzeptabel (grün): Das Risiko ist nicht signifikant und ausreichend kontrollierbar. Weitergehende Maßnahmen sind nicht notwendig.

Die Ableitung von Risikominderungsmaßnahmen für nicht akzeptable sowie tolerable Risiken stellt einerseits auf die allgemeine Reduktion von Veer-Off-Vorfällen und andererseits auf die konkrete Bestandssituation hinsichtlich Tragfähigkeit und UBW-Fundamentneigung ab. Mögliche Maßnahmen sind u. a.:

  • Bauliche/infrastrukturelle Risikominderungsmaßnahmen wie bspw. Einrichtung geeigneter UBW-Fundamentneigungen insb. in Hochrisikobereichen des SLB-Streifens, Herstellung richtlinienkonformer Tragfähigkeiten durch Ertüchtigung des Untergrundes (bspw. Bodenaustausch, Bodenverdichtung oder Bodenverfestigung) etc.
  • Betriebliche Risikominderungsmaßnahmen wie bspw. Startmassenlimitierungen beim Betrieb kritischer Referenzluftfahrzeuge, spezifische Betriebsabsprachen zwischen Flugplatzbetreiber und lokalem Flugsicherungsdienstleister (bspw. Festlegung der aktiven SLB in Bezug auf maximal zulässigen Seitenwind, Freigabe des Flugbetriebes nur nach qualitätsgesicherter Räumung der SLB etc.)

Die Entwicklung und Festlegung geeigneter Risikominderungsmaßnahmen erfolgt dabei in Abstimmung mit dem Flugplatzbetreiber/Auftraggeber unter Berücksichtigung der lokalen Gegebenheiten.

Im Endergebnis liefern die nach o. g. Methodik durchgeführten Sicherheitsbewertungen eine umfassende Einschätzung bei abweichenden Tragfähigkeiten und UBW in der Graded Portion des SLB-Streifens an Flugplätzen. Ferner sind sie Grundlage zur Beantragung eines ELOS-Verfahrens bei der zuständigen Genehmigungsbehörde. Die Vorgehensweise lässt sich analog auch auf Runway End Safety Areas (RESA) übertragen und gestattet zudem die exklusive Analyse und Bewertung von Tragfähigkeiten ohne den zusätzlichen Untersuchungsschwerpunkt von UBW.